26. Januar 2023

Wie BYD und NIO die deutsche Autoindustrie aufmischen. Eine Einschätzung von Partner Tobias Seige, Sektorexperte Mobility.

Mit Nio und BYD drängen zwei chinesische Elektroauto-Hersteller mit groSSEN Plänen in Deutschland auf den Markt. Eine ernsthafte Bedrohung für Deutschlands Elektro-Platzhirsche Volkswagen & Co? Eine Einschätzung von Tobias Seige, Partner und sektorexperte Mobility.

Seit wenigen Wochen ist die NIO ET7 erhältlich, eine schick gestylte Elektro-Limousine, die auch beim Euro NCAP-Test die Höchstwertung von fünf Sternen erhielt. Zudem werden auch Emissionen und Energieverbrauch durch Green NCAP sehr gut bewertet. Laufen Chinas junge Elektromarken den etablierten deutschen Autobauern bei der E-Mobilität technologisch den Rang ab?

Tobias Seige: Wir sehen im Markteintritt chinesischer Elektro-Autoanbieter wie BYD oder NIO hierzulande einen ernstzunehmenden Wettbewerb für die deutsche Autoindustrie. Anders als in früheren Jahren sind chinesische Autohersteller heute durchaus wettbewerbsfähig und speziell bei BEVs mitunter sogar innovativer als ihre deutschen Wettbewerber. Die Gefahr, dass sie den deutschen Herstellern bei Elektroautos Marktanteile abnehmen, ist also durchaus real.

In welchen Bereichen haben die chinesischen Rivalen einen Vorsprung gegenüber deutschen Wettbewerbern?

Seige: Ein für viele E-Auto-Käufer sehr wichtiges Thema ist die Reichweite und da spielt etwa NIO mit seiner vor wenigen Wochen in Deutschland eingeführten Business-Limousine ET7 schon jetzt ganz vorn im Feld der Wettbewerber mit. Das Basismodell soll mit seinem 75 kWh-Akku zwischen 385 und 445 Kilometer (WLTP) weit fahren können, das 100 kWh-Modell soll bis zu 580 Kilometer schaffen. Bis zu 1.000 Kilometer verspricht der Hersteller für das später folgende 150 kWh-Modell.

Außerdem will NIO den ET7 perspektivisch mit Feststoffbatterien mit einer Energiedichte von bis zu 360 WS/kg ausrüsten – was 40 Prozent über dem liegt, was Tesla-Modelle aktuell bieten können.

Innovativ sind auch die sogenannten Swaping-Stationen, an denen die Akkus von NIO-Modellen innerhalb weniger Minuten ausgetauscht werden können. In Deutschland gibt es aktuell zwar erst eine solche Station in der Nähe von Augsburg, perspektivisch könnte das jedoch auch ein zusätzliches Kaufargument für potenzielle Kunden werden.

Aber können die Autos auch qualitativ mit deutscher Ingenieurskunst mithalten?

Seige: Die ersten Tests in den Automagazinen sind überwiegend vielversprechend und auch die Euro NCAP-Ergebnisse sprechen für hohe Sicherheitsstandards und solide Qualität. Anders als die Autos, mit denen chinesische Hersteller vor etwa zwei Jahrzehnten schon einmal versuchten den europäischen Markt zu erobern, sind die heutigen Elektro-Modelle auch technologisch und qualitativ absolut wettbewerbsfähig.

In den nächsten Jahren wird sich der Kampf um Rohstoffe wie Kobalt und Lithium verschärfen. Sind chinesische Hersteller wie NIO und BYD bei den Lieferketten und bei der Wertschöpfungstiefe gegenüber Europas Autoindustrie im Vorteil?

Seige: BYD etwa will bereits 2026 in Deutschland 120.000 E-Autos verkaufen, was einem Marktanteil von zehn Prozent entspräche. Die Wertschöpfungstiefe bei BYD ist deutlich höher als die deutscher Hersteller, denn BYD stellt seine Batteriezellen selbst her. Lieferengpässe sind daher nicht zu erwarten. Und natürlich ist es ein Vorteil, die Förderung der relevanten Rohstoffe für Hochleistungsbatterien sozusagen direkt vor der Tür zu haben. So können Chinas Elektroautohersteller günstiger einkaufen und haben zudem geringere Transportkosten und kürzere Lieferketten.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den Kauf von 100.000 BYD-Elektroautos durch Europas größten Autovermieter Sixt? Ist das mehr als ein PR-Coup?

Seige: Die Eingliederung von 100.000 BYD-Elektroautos in die Sixt-Flotte über die kommenden Jahre ist besonders beachtenswert. Bislang waren in der Flotte des Autovermieters vor allem deutsche Premiummarken wie BMW, Mercedes oder Audi zu finden. Aus unserer Sicht ist das eine bemerkenswerte Entwicklung. Insbesondere deshalb, weil die in Deutschland noch weitgehend unbekannte Marke BYD so im Straßenbild und in den Köpfen der Menschen präsenter wird. Eine Art kostenlose Werbung, die natürlich später auch beim Verkauf der Autos an Privat- und Firmenkunden helfen wird.

 

Tobias Seige, Partner, Sektorexperte Mobility, Industrials & Robotics

Copyright Titelbild: Michelle Becker, Getty Images